GMCD 7297

GMCD 7297 – Piano Music by Christoph Delz

Tamriko Kordzaia – Piano

To the CD in our Shop


Dissonanz Nr. 97 März 2007

Wege zu „Sils“

Die aus Georgien stammende Schweizer Pianistin Tamriko Kordzaia widmet dem Basler Komponisten und Pianisten Christoph Delz (1950-1993) eine CD mit der Einspielung seines Gesamtwerks für Klavier Solo. Neben der von Delz zur Viersätzigkeit ergänzten Klaviersonate D 840 (Reliquie) von Franz Schubert und den Drei Auszügen aus Istanbul, einem ebenso reliquienhaften, geradezu rätselhaft verinnerlichten Werk aus dem Todesjahr des Komponisten, sticht insbesondere die Neueinspielung von Sils op. 1 (1975) hervor. Hier bietet sich ein kurzer interpretatorischer Vergleich mit den existierenden Einspielungen von Christoph Delz an.

Sowohl die 1986 eingespielte und 1991 bei FSM erschienene Radioproduktion mit dem Komponisten, als auch die nun vorliegende CD von Tamriko Kordzaia wurde von Hans Ott betreut. Die knapp 20 Jahre, die zwischen den beiden Aufnahmen liegen, sind tontechnisch spürbar und insofern von Relevanz, dass in der Neueinspielung die unzähligen Pedaleffekte, Nachhallmanipulationen und Echos viel deutlicher hörbar sind. Zwar ist die Bedeutung dieser Ebene für das Stück keinesfalls wegzudiskutieren, doch wirkt im direkten Vergleich Delz’ Einspielung prägnanter und kraftvoller, vielleicht weil die rhythmisch verschachtelten Liniengeflechte und perkussiven Akkordballungen nicht ständig einen kometenhaften Resonanzenschweif hinter sich herziehen.

Diese Beobachtung soll aber die Leistung der Pianistin keinesfalls schmälern. Jederzeit ist sie voll auf der gestalterischen Höhe dieses komplexen Werks, lässt insbesondere die kristallklare Textur des letzten Teils durch feinste agogische Finessen äusserst klangschön aufblitzen und hört die Partitur mit grossem Klangsinn aus. Gerade darin unterscheidet sich wohl ihr interpretatorischer Ansatz von demjenigen Delz’, mit den oben beschriebenen Konsequenzen: Kordzaia erweist sich als eine subtil ausbalancierende Gestalterin der lang ausschwingenden Klänge, während Delz durch seine Betonung der sich auftürmenden Einschwingvorgänge eher den scharfkantigen rhythmischen Gestus der Partitur ins Zentrum rückt. Von der nur im Mittelteil abweichenden Urfassung von Sils, die unter dem Titel «Klavierübung» bereits 1975 (also im Entstehungsjahr der endgültigen Fassung) eingespielt wurde, hat sich Delz bis zu seiner Radioeinspielung von 1986 ein rhythmisch zupackendes und gleichwohl erratisches Moment bewahren können.

Interessanterweise hat aber auch Christoph Delz bei seinem eigenen Stück unterschiedliche Interpretationsansätze verfolgt (deren Aufnahmen sich in der Christoph Delz Stiftung, Basel befinden). In einer Live-Aufnahme von 1979 kontrastiert er teilweise sehr statisch wirkende Akkordausklänge mit in fast Lisztschem Gestus vorgetragenen Kaskaden, sucht dabei vorwärts stürmend grössere Bögen und nivelliert dazu auch mal die rhythmischen Feinheiten. In einer weiteren Einspielung durch den WDR verstärkt Delz diese Tendenz durch eine spürbare Verschärfung des Tempos (nicht zufällig ist sie mit Abstand die kürzeste der vorliegenden Einspielungen). Dadurch geraten die zahlreichen Nachhalleffekte und dynamischen Abstufungen stark in den Hintergrund. Es ist eine wesentliche Qualität der Neueinspielung von Tamriko Kordzaia, dass es ihr gelingt, in einer ungleich präziseren Umsetzung des Notentexts ebenfalls eine dramaturgische Kontinuität herzustellen, ohne durch ein zu schnelles Tempo die Echowirkungen zu gefährden, indem sie die Balance der einzelnen Klangblöcke mit grossem Weitblick austariert. Das mag an einzelnen Stellen vielleicht etwas zu viel des Guten sein; so verwundert es nicht, dass die kleinen melodischen Inseln in der Mitte des Stücks, die mit «cantando» bezeichnet sind, bei Delz etwas auffälliger aus dem übrigen Klangbild hervortreten als bei Kordzaia.

Auch wenn der Komponist zu Beginn der Partitur die zugrunde liegende Klangvorstellung eindeutig verortet («Spaziergang über den zugefrorenen Silsersee»), machen die beiden Studioaufnahmen von Delz und Kordzaia deutlich, wie unterschiedlich eine solche aussermusikalische Referenzialität (sofern man ihr beim Hören überhaupt Beachtung schenkt) wirken kann. Während Kordzaia ein impressionistisches Klangbild evoziert, assoziiert man bei Delz eher eine Strukturanalogie im Sinne von scharfkantigen Eisblöcken. Dass beide Klangbilder eine faszinierende Ausstrahlung haben, liegt an der vielschichtigen Qualität der Komposition, aber insbesondere auch am brillanten pianistischen Können von Delz und Kordzaia.
Michel Roth


Tages-Anzeiger – 23. Dezember 2005

Wenn reale Ereignisse zu Musik werden

Christoph Delz gehört zu den bestverdrängten Schweizer Komponisten. Die Einspielung seiner Klavierwerke ruft ihn nun eindrucksvoll in Erinnerung.

Die Pianistin Tamriko Kordzaia beleuchtet auf ihrer neuen CD das Schaffen von Christoph Delz (1950-93) von seinen Rändern her: Eingespielt sind das Klavierstück «Sils» op. 1 (1975) sowie drei Auszüge aus «Istanbul» OP. 14 (1993), Delz’ letzter Komposition. Dazwischen liegen zwölf Werke für andere Besetzungen, von denen etliche zum Spannendsten zählen, was der Schweizer Komponist zur zeitgenössischen Musik beigetragen hat.

Dass die Musik von Delz – trotz Unterstützung der Basler Christoph-Delz-Stiftung – selbst im spezialisierten Musikleben selten Beachtung finden, hat viele Gründe: Ein höchst seltsames, oft am «Aussermusikalischen» orientiertes Tonvokabular (das vielen Vertretern der Schweizer Neue-Musik-Szene zu unseriös scheint), ungemein sperrige Besetzungen und Formen, auch Delz’ mangelnder Herdeninstinkt könnten genannt werden.

«Sils» ist ein faszinierendes Klanglaboratorium, das ohne die Kunst und Kenntnis des hervorragenden Pianisten Delz nicht denkbar wäre. Delz konzentriert seine Klangimagination auf die Strukturierung des Bereichs zwischen Anschlag und Verklingen, schafft so eine Klaviermusik von ungewöhnlich plastischer Wirkung – zumal in der differenzierten pianistischen Gestaltung durch Kordzaia. Übrigens ist diese Konzeption nicht am Reissbrett entworfen, sondern komponiert «nach Klangvorstellungen bei einem Spaziergang über den zugefrorenen Silsersee», wie Delz in der Partitur mitteilt.

Zertrümmern und buchstabieren

Ein grosser Teil seines Schaffens beruht auf penibler «Transkomposition» realer Ereignisse. Die Musik des «Nachmittags in Istanbul», dem ersten Satz von op. 14 dürfte unmittelbar aus Ereignissen abgeleitet sein, die Delz bei einem Besuch in Istanbul erlebt und aufgezeichnet hat. Unter allen Merkwürdigkeiten bei Delz ist die fragmentarische, ständig zwischen Banalität und Rätselhaftigkeit schwankende Musik von «Istanbul» eine der grössten. Man muss sagen, dass sich der Rätselcharakter in der Reduktion von der Fassung für Soli, Chor und grosses Orchester auf jene für Klavier nicht gerade verkleinert. Als Tod-kranker komponierte Delz «Istanbul» bewusst als Opus summum – und stellte auch deswegen die Klavierfassung her, um sich noch einen sinnlichen Eindruck seiner letzten Musik zu verschaffen.

Später wandte er sich komponierend nur noch Schuberts unvollendeter Reliquien-Sonate zu – und vollendete sie nicht. Im Gegenteil: Auch intakte Teile der unvollendeten schubertschen Sätze III und N werden zertrümmert, zunehmend von hinten nach vorne buchstabiert, bis Delz wieder zum pentatonisch anmutenden Sonatenbeginn gelangt. Unter Aufwendung beträchtlicher Kunstmittel hat Delz hier versucht, musikalische Zeit umzukehren, Schuberts komplexe unfertige Form auf ihren Nukleus zurückzuführen – eine kompositorische Zeitwende, die angesichts von Delz’ damals schon stark fortgeschrittener Aidserkrankung in besonderem Licht erscheint.
Michael Kunkel

ALL Music Monday March 26 06

Swiss composer Christoph Delz was a superb pianist who studied composition with Karlheinz Stockhausen and was active as a significant interpreter within the European “New Music” scene of his day. Nonetheless, he also felt a strong affinity with nineteenth-century Romanticism and regularly programmed recitals of Liszt, Schumann, Mussorgsky and other composers of that era. The sense of tension growing from the collision of these disparate realms of influence is felt in Guild’s Christoph Delz: Piano Works a collection performed by Georgian pianist Tamriko Kordzaia. This brings together the opposite ends of Delz’ worklist; the piano piece Sils Op. 1 (1975) and the last two pieces he completed before his death from AIDS in 1993; Drei Aufzuge aus “Istanbul” and his elaboration of Franz Schubert’s ”Reliquie” Sonata.

Sils was inspired by a winter walk on the frozen surface of Sils Lake, located on the Engadin River in Switzerland. Its idiom may strike the listener likewise as rather icy; Delz must have learned his lessons with Stockhausen well, as this piece could pass muster as one of Stockhausen’s Klavierstücke of the 1950s. The later pieces show that Delz absorbed and digested his influences more completely than in Sils, but this did not mean a full-scale return to traditional tonality. Rather Delz pursued an interest in collage, quotation and fragmentation drawn from his impressions and musical experiences. Istanbul was his last original work, a cantata employing massive forces that served for Delz as an allegory for all cultures of the world coming together in one place. The Drei Aufzuge aus “Istanbul” are three excerpts from this work as arranged for piano, and demonstrates that in his use of collage techniques Delz did not seek greater density of texture but to realize a sense of inner peace, perhaps even a measure of “truth.” Delz’ “completion” of the Schubert “Reliquie” is the most radical, and pleasing, of the pieces on Christoph Delz: Piano Works. The first two movements stand as they are, with the unfinished third movement completed almost as Schubert might have wanted it. But in the fourth movement, Delz’ allows himself free range and pulls together a dazzling collage of Romantic piano mannerisms, even including a snatch of music from Schubert’s “Unfinished” symphony. It is an impressive and moving achievement, and one that runs completely against the grain of European post-serialism.

Ironically it is in the unadorned opening two movements of the Schubert where pianist Kordzaia seems most like a fish out of water. She plays the Schubert in a hard “neo-classical” style, fortissimos are LOUD and she almost makes the genial and sensitive Schubert sound like Prokofiev. However, the point is taken that for a pianist to be able to perform Delz’ original work it requires a steely and super-virtuosic technique. To be able to move from this style into the graciousness of Schubert’s early Romanticism and back out again requires a level of specialization perhaps only Delz himself cultivated.

Christoph Delz: Piano Works is certainly not for general tastes in any way. Nevertheless, it is interesting, poignant, and thought provoking music that is far more emotionally responsive than is the norm for “New Music” from the Old World.
David N. Lewis