GHCD 2410

GHCD 2410 – Leopold Stokowski – Gala Night at the Opera, 1962

George London (bass-baritone), Birgit Nilsson (soprano), Philadelphia Orchestra, Leopold Stokowski (conductor)

To the CD in our Shop

 


Klassik.com – Oktober 2015

Den Namen Leopold Stokowski assoziiert man nicht unmittelbar mit großer Oper, sondern eher mit effektvollen Konzerten – gerne auch mal im eigenen Arrangement. Der große amerikanische Dirigent hat zwar einige, vor allem zeitgenössische Opern wie Alban Bergs ‘Wozzeck’, Rimsky-Korsakoffs ‘Die Legende von der unsichtbaren Stadt Kitesch’ oder insbesondere das Musiktheaterschaffen von Arnold Schönberg zu ihren amerikanischen Erstaufführungen gebracht, zumeist aber in konzertanter Form. Seine wenigen Auftritte an Opernhäusern, wie die ‘Turandot’-Serie 1961 an der Metropolitan Opera, haben Seltenheitswert.
Einen lebendigen Eindruck von Leopold Stokowskis Opernzugriff bieten folglich seine Opernkonzerte, die er regelmäßig am Pult ‚seines‘ Orchesters, dem Philadelphia Orchestra, veranstaltet hat. Beim historisch orientierten und rührigen Label Guild ist nun der Mitschnitt einer Operngala vom 20. Januar 1962 in Philadelphia auf einer CD erschienen. Es handelt sich dabei um die damalige Radiodirektübertragung mit allen Ansagen und Moderationen. Der Klang ist tadellos oder vielmehr authentisch, denn es stellt sich beim Hören sofort das Gefühl ein, man säße vor einem großen Radiogerät und lausche einem tatsächlichen Konzert, das in genau diesem Moment in Philadelphia stattfindet. Ein beglückendes Erlebnis, vor allem wenn zwei Superstars der damaligen Zeit gemeinsam mit Leopold Stokowski das Programm bestreiten.
Mit George London und Birgit Nilsson bietet diese Operngala zwei Solisten auf, die 1962 im Vollbesitz ihrer stimmlichen Möglichkeiten und auf dem Höhepunkt ihrer Gesangskarriere stehen. Kaum zu glauben, dass George Londons Bassbariton schon bald nicht mehr derselbe sein wird. Beim vorliegenden Philadelphia-Konzert ist von gesundheitlichen und folglich stimmlichen Defiziten nichts zu hören. Er beginnt mit Mozarts ‘Non più andrai’ aus ‘Le nozze di Figaro’ und schlüpft dabei einmal in die Rolle des Titelhelden, nachdem George London international vor allem als Graf Almaviva gefeiert wurde. Für den Figaro bringt London vielleicht nicht die gewohnte Flexibilität mit, aber er lotet das Abgründige der Rolle blendend aus. Dieser Figaro ist mit allen Wassern gewaschen, keiner sollte ihm in die Quere kommen. Daran lässt George London keinen Zweifel.
Mit ähnlicher Dämonie stattet er Gounods Méphistophélès in dessen Serenade aus und ein wirklicher Höhepunkt ist die Arie des Igor aus Alexander Borodins ‘Fürst Igor’, natürlich in der originalen russischen Sprache. Man ertappt sich dabei, dass man nun gerne auch noch Boris‘ Tod aus Mussorgskys ‘Boris Godunov’ gehört hätte, dann wäre man selig. Aber dafür muss man eben George Londons ‚Gods, Demons & Kings‘-Platte auflegen.
Das Dunkel der klanglichen Bass-Schwärze durbricht die Schwedin Birgit Nilsson mit ihrem unverkennbaren, gleißenden Sopranstrahl. Zunächst gibt sie dem eher introvertierten ‘Vissi d’arte’ aus Puccinis ‘Tosca’ den Vorrang und beweist, dass sie sehr wohl auch das strömende Piano und einen innig, berührenden Tonfall beherrscht. Wer Birgit Nilsson einzig als dramatische Silbertrompete im Ohr hat, wird hier an die zahlreichen anderen Stimmqualitäten der Sängerin erinnert. Dass Leopold Stokowski das Gebet der Tosca mit einem überaus kräftigen Hauch von Pathos und Kitsch versieht, kann man in Anbetracht von Nilssons Gesang letztlich verschmerzen.
Was Leopold Stokowski aus Richard Wagners ‘Rienzi’-Ouvertüre herausliest, ist ebenfalls gefährlich nahe an einem gefälligen Hollywood-Sound. Mag sein, dass diese Lesart dem amerikanischen Zeitgeschmack geschuldet ist, aber schärfer konturiert wäre der populäre Dauerbrenner faszinierender. Da überzeugt der luzide, durchaus märchenhafte Zugriff auf das erste ‘Lohengrin’-Vorspiel weitaus mehr.
Birgit Nilsson und George London treten auch für eine Nummer gemeinsam an die Rundfunkrampe, und zwar für das Duett Amonasro-Aida aus Verdis ‘Aida’. Das ist fulminant, schonungslos, stimmgewaltig, leidenschaftlich und Theater pur. Brünnhildes Schlussgesang aus der ‘Götterdämmerung’ beschließt diese Operngala und wird mit Stokowski am Pult zu einem rauschhaften Erlebnis.
Benjamin Künzel